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Der Imbissverkäufer

Der Imbissverkäufer

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Ömer’s Imbiss

Die letzten Monate habe ich viele neue Bekanntschaften machen dürfen. Eine davon, die mir sehr am Herzen liegt ist Ömer. Seit ich Ömer kennengelernt habe, sind nun vier Monate vergangen. Ömer – der Imbissverkäufer – ist mein Freund geworden. Wann immer ich Zeit habe, besuche ich ihn in Aarau bei seinem Imbissstand schräg gegenüber der Stadtbücherei. Ömer hat ein gutes Herz. Er spricht nie schlecht über andere und ich kann mit ihm über Gott und die Welt philosophieren.

Sandmeier In Kölliken

Seine Bratwurst hat es mir angetan. Anstatt das Lob für sich einzuheimsen gibt er es weiter: «Ich habe all die Jahre über immer erstklassige Ware von meinem Lieferanten bekommen, der Metzgerei Sandmeier In Kölliken.» Sein Alter ist schwer zu schätzen. Ich tippe auf 50 oder 60 Jahre. Er lächelt und schüttelt den Kopf. «Ich bin 80. Die Arbeit als Imbissverkäufer hält jung.»

Der Imbissverkäufer - Ömer Akyüz und Hans-Jürgen John in Aarau bei Ömers Imbiss.
Der Imbissverkäufer Ömer Akyüz und Hans-Jürgen John in Aarau bei Ömers Imbiss.

Ein paar Schritte weiter sehe ich eine Schrifttafel neben einem Baum im Boden eingelassen. Sie dokumentiert, dass Ömer und seine Familie zwei Bäume der Stadt Aarau gestiftet haben.

Der Imbissverkäufer - Ömers Baumspende an die Stadt Aarau.
Ömers Baumspende an die Stadt Aarau.

Ömer ist eine lokale Berühmtheit. Schon mehrere Zeitungen haben über ihn berichtet.
Sogar die Webseite des Schweizer Fernsehens kommt nicht um ihn herum. Mit Foto und Text ist er dort seit Januar 2015 verewigt. Seine eigenen Aussagen und die Statements über ihn in der Presse zeigen und bestätigen mir, dass ich mich in ihm nicht getäuscht habe. Er ist schweizerischer, als so manche hier geborenen Schweizer. Es gibt eben die Menschen, die gut zu einem sind, solange sie einen Nutzen von einem haben und andere, deren Menschlichkeit angeboren ist. Hier ein paar Links zu Zeitungsartikeln, in denen über ihn berichtet wurde.

Schweizer Fernsehen: Auf den Spuren des «Bestatters» in Aarau

Aargauer Zeitung: Zu diesen Schweizern sagte damals niemand Nein

Oltner Tagblatt: Ömer schenkt «seiner» Stadt Aarau zwei Platanen

Wie kams? Am Anfang stand die Aludose.

Und wie habe ich Ömer kennengelernt? Anfang des Jahres ging es bei mir ganz schlecht. Ich überlegte hin und her. Die Menschen, die auf den Bahnhöfen die Abfallkörbe auf der Suche nach Aludosen durchstöbern, fielen mir ein.

Das müsse daher kommen, weil es auf Aludosen Pfand gibt, dachte ich mir. Ich machte mich kundig. Die Preise für Altmetall waren schon einmal höher. Für ein Kilo würde es so um die 1,70 CHF geben. Doch wie viele Dosen entsprachen einem Kilo? Das Gewicht einer 0.5 l Aludose liegt je nach Hersteller bei ca 16 Gramm. So genau wollte ich das nicht wissen. Doch es zeigte mir: Nur für ein Kilo bräuchte ich ca 60 Dosen. Nun wiegen nur die grossen Aludosen 16 Gramm. Die meisten Dosen, die ich fand, waren kleinere und die bringen bedeutend weniger auf die Waage.

Ich ging die Ausfallstraßen entlang und fand genug davon. Auch entlang der Autobahn gab es genügend. Das heisst, dass es Menschen gibt, die die Dosen einfach aus dem Auto in die Natur werfen. Und wo sollte ich die Dosen verkaufen? Es stellte sich heraus, dass es zwar in Deutschland ein Dosenpfand gibt, nicht jedoch in der Schweiz. Es musste einen anderen Weg geben, um etwas zu verdienen.

Zweiter Versuch mit Büchern

So nahm ich eine große Tasche und machte mich auf den Weg nach Safenwil. Ich klingelte und die Menschen waren sehr freundlich. Ich fragte nach Büchern, die sie nicht mehr brauchten und sowieso wegwerfen würden. Innerhalb kurzer Zeit hatte ich 13 Bücher zusammen. Es war schon nachmittags. Ich marschierte nach Aarau. Es wurde dunkel. Unschlüssig überlegte ich, wo ich sie verkaufen sollte. Es waren auch aktuelle Ausgaben dabei, die im Geschäft bestimmt 15 Franken und mehr kosten würden. Die Bushaltestelle beim Interdiscount erschien mir richtig. Immer wieder kamen Busse an und fuhren ab. Ich setzte mich auf meine Jacke, legte den vorbereiteten Din A 4 Zettel in Klarsichtfolie vor mich auf den Bürgersteig und lehnte mich gegen die kühle Schaufensterwand.     «1 Buch 1 CHF», hatte ich in großen Zahlen und Buchstaben darauf geschrieben. Eine starke Bise blies von der Seite. Niemand verbrachte an einem solchen Abend eine Minute länger als nötig draußen.

Interesse aber kein Verkauf

Plötzlich stand eine Frau mittleren Alters vor mir. Sie grüßte höflich und fragte nach dem Woher und dem Wohin. Wir unterhielten uns längere Zeit. Es war mir unangenehm. Sie interessierte sich offenbar nicht für die Bücher. Die Passanten nahmen von mir keine Notiz, während sie bei mir stand. Ich rechnete nach, ob es mir zum Aldi nach Oberentfelden zeitlich vor Ladenschluss wohl reichen würde? Dort gab es die billigste Schoki für 65 Rappen. Würde ich also zwei Bücher verkaufen, könnte ich mir drei Schoki leisten. Oder einen Kilo Brot für 1,09 CHF und eine Schoki. Die Gedanken daran wärmten mich. Die Frau, ich habe ihren Namen vergessen – vielleicht wüsste ich ihn noch, wenn sie mir ein Buch abgekauft hätte – war schon weiter gegangen.

Ömer – Ein älterer Herr mit gutem Herz

Ein älterer Herr kam nach ihr, von rechts. Er zeigte zu seinem Imbisswagen ein Stück weiter schräg vor der Stadtbücherei. Später erfuhr ich, dass es sich um den Imbissverkäufer Ömer handelte. Ob ich etwas essen wolle? Ich sah ihn an. Er meinte es sicher gut. Ich lehnte ab. Auch er zeigte kein Interesse an den Büchern. Und doch nahm ich mir vor, etwas bei ihm zu essen, sobald ich wieder Geld haben würde. Er kehrte zu seinem Imbisswagen zurück und machte Feierabend.

Das ist die Geschichte wie ich meinen Freund Ömer das erste Mal traf. An diesem Abend ging ich traurig mit 13 Büchern zu Fuss nach Kölliken zurück.

Mein Fazit an diesem Abend: Es gibt Menschen, die einem helfen. Niemand kauft Bücher für einen Franken. Die Menschen hier haben genug Geld und bezahlen lieber das Fünfzehnfache dafür im Laden.

Ich hoffe Sie, lieber Leserinnen und Leser treffen Menschen wie Ömer, wenn es Ihnen einmal schlecht geht.

Ihr Hans-Jürgen John

Update: Wie es mit Ömer und seinem Imbiss weiterging.

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2 Gedanken zu „Der Imbissverkäufer“

  1. I enjoy giving because I always get more than I receive. I try to do one good thing for someone each day. I ran away a lot and had to beg for food. I quit that when I knew it was stupid. Your friend is a good man. I am sure you and he share many moments of conversation that makes life bearable. I like your writing very much although I have to read the English translation.

    1. Hi RD Larson
      Thank you so much for your comment. Your words are good for a writing soul. I like your posts, too.
      Somehow it is a matter of attraction. I have experienced many times that good people attract good people – or in other words – good people have to help others as soon as they see they are in trouble. Those who were in trouble feel thankful and will help others too if they have the possiblity. This way everyone helps everyone and in the end the world has changed to a better place.

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